Wie war nochmal die Frage?

7. Juli 2015

Gre-Abstimmungszettel-SZ01

 

Haben wir ein Problem mit Griechenland? Mit der griechischen Regierung? Mit den Griechen als solchen? Ich jedenfalls nicht. Griechenland ist pleite. Die Staatsschuldenkrise von Hellas Erben geht in das sechste Jahr; einige hundert Milliarden Euro flossen seit Beginn in das Land. Es versickerte, es blieb auf der Strecke. Bei den Bedürftigen kam am wenigsten von allem an. Nun stehen die Griechen vor den Geldautomaten Schlange und bekommen mitunter nicht einmal die zugesicherten 60 Euro pro Tag aus den Geldmaschinen heraus. Und nun haben wir seit Sonntag gelesen, die wahlberechtigten Griechen haben mehrheitlich und sehr deutlich mit Nein gestimmt. Über 60 Prozent kreuzten Nein an.

Nein. Ja gut. Nein wozu? Nein zum Euro? Nein zu Europa? Bricht jetzt Europa zusammen oder auseinander? Bricht jetzt das Euro-Währungssystem zusammen? Geht Europa unter? Wenn man die Schlagzeilen nach den Hochrechnungen gelesen hatte, dann müssen diese Fragen allesamt mit Ja beantwortet werden. Nur: Stimmt das überhaupt? Eher nicht. Eher Nein.

Es gibt eine einfache und grundsätzliche Regel in der Kommunikationswissenschaft. Sie lautet: Wenn du das Ergebnis einer Umfrage präsentierst, dann gehört zwingend dazu, dass du sagst, wie die Frage lautete. Zu welcher Frage haben die Griechen mit Ja oder Nein geantwortet? Zu welcher Frage haben sie sich eine Meinung so gebildet, dass sie mit über 60 Prozent den Inhalt derer abgelehnt haben. Weder in den ZDF-heute-Nachrichten, der Tagesschau, dem ARD-Brennpunkt mit Moderator Sigmund Gottlieb vom Bayerischen Rundfunk, weder im heute-journal noch in den Tagesthemen tauchte am Sonntagabend die Fragestellung im Wortlauf auf. Sie ist jedoch zwingend notwendig, damit ich als Rezipient verstehe, wie es zu dem Ergebnis kam.

„Nein zum Sparpaket“ – so lautete der Tenor in den Medien on- wie offline am häufigsten. Das mag sein, dass sich aus dem Nein eine Schlussfolgerung herausfiltern lässt, die Griechen lehnten weitere Hilfen und weitere Auflagen zum Schuldenpaket ab. Nur: Wie lautete die Frage hierfür? „Nein zu Europa“ – das wäre noch die verwegenste Interpretation des Ergebnisses des Referendums in Griechenland vom 5. Juli 2015. „Nein zum Euro“ – wohl kaum, denn wiederum die Mehrheit der Griechen möchte den Euro als Währung behalten. „Nein zur Troika“ – vielleicht, denn die Troika aus Internationalem Währungsfonds, EU-Kommission und Europäischer Zentralbank hat sich in Griechenland recht unbeliebt und kaum Freunde gemacht, und deren Auflagen wirken auf die Griechen nunmal wie ein Gnadenschuss.

All das ist Herumfischen im Trüben. All das führt nicht auf den Grund des Ergebnisses – zu der Abstimmungsfrage. Warum präsentieren uns die meisten deutschen Medien somit ein verzerrtes Bild einer Abstimmung. Sie lassen di eFrage weg und wir landen bei Desinformation und Manipulation. Haben die Medien Angst davor, das wir deren Mainstreaming in der Meinungsbildung nicht teilen? Und wenn schon? Gefährdet es unsere Demokratie, wenn wir nicht erfahren, welche Frage die Griechen zu klären hatten? Nein. Vielmehr: Diese Gängelung der deutschen Öffentlichkeit führt dazu, dass sich die Menschen immer weiter von den Medien entfernen, sie missbilligen und sogar als Gefahr ansehen. Also kommen wir zwangsläufig zu der Frage: Wem nutzt es, dass wir die Frage nicht kennen? Denen, die eine tendenziöse Stimmung gegen Griechenland im Allgemeinen und gegen Griechen, die mit Nein gestimmt haben, im Besonderen schüren wollen?

Nun ist es ja durchaus so, dass wir im weltweiten Netz die Frage sehr wohl finden können, wenn wir denn hartnäckig genug danach suchen. Kritiker der Frage meinten, sie sei reichlich kompliziert. Aha. Darf ich das noch selbst entscheiden wie kompliziert sie ist? Wenn sie die Griechen auf dem Abstimmungszettel lesen und präsentiert bekommen, dann werde ich die Frage erst recht vertragen und sogar verstehen können. Wenn nötig mit Sekundanz der deutschen Medien. Und wenn die Frage kompliziert, ja sogar zu kompliziert ist, dann gehört es geradezu zu den ureigenen Aufgaben der Medien, uns die Frage plausibel, transparent und verständlich zu machen. Übersetzt werden muss sie uns ohnehin, denn griechisch können eher die wenigsten der deutschen Zeitungsleser oder Medienrezipienten.

Es gibt in dieser Kritik eine Ausnahme bei so genannten Leitmedien – vor dem Referendum und eine Ausnahme danach. Vor dem Referendum hatte die Süddeutsche Zeitung die Frage am 29. Juni 2015 abgedruckt und sogar kurz erläutert. Der Berliner Radiosender vom RBB, RadioEins, hat in der Anmoderation seiner Sendung vom 6. Juli 2015 um 19 Uhr – also einen Tag nach dem Referendum – die Frage und den zweiteiligen Zusatz zitiert. Allerdings in den Nachrichten des gesamten Tages mit keiner Silbe erwähnt.

 

In der Süddeutschen Zeitung, Online-Ausgabe vom 29. Juni 2015 heißt es:

„Die Frage, die der Bevölkerung am Sonntag vorgelegt werden soll, ist kompliziert. Sie lautet: „Muss der gemeinsame Plan von EZB, EU-Kommission und IWF, der am 25.6.2015 in der Eurogruppe eingebracht wurde und aus zwei Teilen besteht, angenommen werden? Die zwei Teile sind: ‚Reforms for the Completion of the Current Program and Beyond‘ und ‚Preliminary Debt Sustainabilty Analysis‘.
Der Wahlzettel zitiert die englischen Formulierungen aus den Brüsseler Dokumenten und übersetzt sie ins Griechische. Auf Deutsch: „Reformen für die Vollendung des laufenden Programms und darüber hinaus“ und „Vorläufige Schuldentragfähigkeitsanalyse.“

Soweit die Süddeutsche Zeitung vom 29. Juni 2015. Gleiches hatte der RadioEins-Moderator verlesen.

Was folgt daraus? Vielleicht, dass auch wir solch einen kryptischen Abstimmungsinhaltshumbug abgelehnt und auch mit Nein gestimmt hätten? Folgt der Abstimmungszettel den demagogischen Vorgaben der Links-Rechts-Regierung aus Syriza und der Rechtsnationalen Partei, wonach sie selbst als Nein-Befürworter auch sicherstellen wollten, dass es eine Mehrheit für ihre Auffassung gibt? Vor allem aber der Anfang der eigentlichen Frage schlägt einer tendenziösen Meinungsrichtungsgebung den Boden aus: „Muss der gemeinsame Plan …“ Natürlich „Muss“ er nicht. Ist doch klar. Ist also klar, warum über 60 Prozent der Abstimmer in Griechenland mit Nein gestimmt haben? Für mich auf jeden Fall. Bei dieser Frage hätte auch ich mit Nein gestimmt, ohne Rücksicht auf die Folgen. Die Frage gleicht einem Frontalangriff auf die Souveränität eines Landes. Wer sagt dazu schon Ja als einer, über dessen Souveränität auf dem Abstimmungszettel mit abgestimmt werden soll?

Wenn dann hierzulande immerfort von „den Pleite-Griechen“ in der „Bild“-Zeitung die Rede ist, damit eine tendenziöse Grundrichtung der Argumentation im Blatt zum Problem in Griechenland vorgelegt wird, dann will ich wissen, auf welcher Grundlage diese Richtung entstanden ist. Nun weiß ich es: durch Weglassen. Nur: Ich bin der Leser. Ich bin der Souverän, ich will entscheiden, was richtig ist oder was logisch, was nachvollziehbar ist. Und das liegt hier auf der Hand: Es ist nachvollziehbar, dieses Nein der Griechen, jedenfalls für mich.

Worum geht es? Es geht um Medienkritik und darum, dass wir nicht umfänglich ausreichend informiert werden. Steckt hinter allem Absicht? Man muss es beinahe annehmen. Anders ist kaum zu erklären, warum man uns – abgesehen von der Süddeutschen Zeitung – den Abstimmungszettel vorenthält. Die SZ hat ihn also gebracht. Und zwar hier:

Auf dem Zettel steht „Nein“ oben. Nicht nur ungewöhnlich oder unlogisch, weil auch im griechischen Alphabet N vor O und damit „Nai“ vor „Oxi“ also Ja vor Nein kommt, sondern auch reichlich tendenziös und richtungsgebend für das Kreuz. Sie stimmten nicht Ja oder Nein, sondern Nein oder Ja. Das ist ein Unterschied. Warum ist der Abstimmungszettel also genauso layoutet und konzipiert, wie er konzipiert worden ist? Wollte die Syriza-Regierung sicher gehen, dass die Leute mit Nein abstimmen und das mit dem Layout des Wahlzettels bereits vorjustieren? Es gibt eine Tendenz unter uns Menschen, dass das, was wir oben sehen, überweigend als positiver und wichtiger empfunden wird, als das, was weiter unten kommt. Diese Einschätzung folgt auch der nachrichtenregel, Wichtiges zuerst, dann das Weitere. Ich bin nicht gegen Griechen oder für die griechische Regierung. Ich bin für Transparenz, Relevanz und Plausibilität. Ich will mir über all das eine belastbare Meinung selbst bilden können.

Es ist Aufgabe von Medien, mir dafür die Voraussetzungen zu schaffen. Nicht ich muss Hintergründe aufschlüsseln; wäre es so, dann sind Medien überflüssig, dann mache ich mich selbst auf den Weg und werde mir durch Recherchen im Netz, durch Fragen vor Ort einen Meinung einholen. Medien sind dann überflüssig. Für mich jedenfalls. Nur mal so: Tun das nicht längst ohnehin die Menschen – sich selbst ihre Meinung einholen ohne die Medien? Die Leser, Zuhörer, Klicker verweigern die Gefolgschaft. Sie bleiben weg, nicht weil sie kein Geld mehr dafür ausgeben wollen, was Medien ihnen präsentieren – wobei auch klar ist, dass es für nichterbrachte Leistungen kein Geld gibt –, sondern weil sie sich nicht gut genug informiert fühlen. Fakt ist: Mit der Griechenlandkrise korreliert eine andere Krise bislang ohne Aussicht auf Besserung: die Medienkrise.

Erschreckend ist der Gleichklang der Medien in der Interpretation des Ergebnisses aus Griechenland – ohne Tiefgang und Hintergrund-Informationen. Und die Gleichförmigkeit des Weglassens wesentlicher Informationen zum Referendum in Griechenland: Wie war nochmal die Frage?